Der Wasserfall von Partschins

Novelle

Günter wird zukünftig wahrscheinlich mit einem künstlichen Hüftgelenk auskommen müssen. Das bringt erhebliche Einschränkungen mit sich.

Vor allem, für einen jungen Menschen wie Günter. Karin kann ihm jedenfalls nicht mehr helfen. Wenn es Beate schafft, wird ihr Werner fehlen. Vielleicht können sich Günter und Beate untereinander beistehen. Sie kennen jedenfalls die Ursache ihrer Verletzung. Beates Verletzung wird sie wahrscheinlich in einen Rollstuhl zwingen.

Gloria und Maria sind im Ort geblieben. Sie fahren täglich ins Krankenhaus nach Meran. Beate scheint sich zu erholen. Langsam wird ihr klar, sie wird behindert sein und bleiben. Nikolaus steht bei ihr am Bett. Er soll ihr schonend ihre Situation beibringen. Er bekommt feuchte Augen dabei. Trotzdem er sehr viel gewohnt ist. Das Mädchen tut ihm sehr leid. Nikolaus pendelt laufend zwischen Beate und Günter. Er versucht, die Beiden zu informieren. Deren Mütter versuchen das auch. Bisher konfrontieren sie die Zwei nicht mit der Wahrheit. Sie befürchten tragische Reaktionen.

Eigentlich wollen sie heraus finden, ob das Gehirn – Schaden genommen hat. Nikolaus versucht zu erfahren, ob sich Günter und Beate an Alles erinnern können. Bei Beate ist er sich nicht sicher. Ihr fehlen ein paar Passagen. Günter weiß Alles. Er zeigt tiefe Reue. Nur vom Tod seiner Kollegen weiß er nichts. Er glaubt, sie sind verletzt wie er.

Rolf sitzt oft bei ihm. Er erkennt Rolf. Beate erkennt Rolf auch.

Rolfs Eltern kommen bei Marianne an.

„Wir können nicht lange bleiben. Edmund hat mir nur vier Tage gegeben“, sagt Andreas. „Wir haben im Moment viel Arbeit.“

Andreas und Sieglinde begrüßen Maria. Sie bringen auch Sachen von Edmund für Maria mit. Andreas ist heilfroh als er Rolf sieht.

„Willst du gleich mit nach Hause fahren?“

Rolf schaut vor die Haustür. Der Wartburg steht dort. Frisch gespritzt, in einer neuen Farbe.

„Ich habe euch gar nicht erkannt.“

„Wir haben das Auto frisch gespritzt.“

Andreas ist ein altmodischer Kauz, sagen seine Kollegen. Statt einem modernen, fährt er stur seinen Wartburg. Den hat er sich zur Wendezeit geleistet. Preiswert. Viele haben ihre DDRAutos verkauft. Seinen hat er vom Nachbarn. Der hatte wenig Kilometer auf dem Tacho. Andreas muss oft lachen.

„Der war schon vier Mal in der Werkstatt. Ich noch nicht.“

„Du fährst ja auch wie eine Schnecke“, stöhnt Sieglinde.

„Da kannst du besser schlafen“, lacht Andreas zurück.

„Andreas fährt nicht schneller als Einhundert und Zwanzig“, entschuldigt sich Sieglinde. „Wir wollten eigentlich schon gestern hier sein.“

Marianne schaut ins Buch. Das stimmt.

„Schneller als Einhundert und Zwanzig darf man so und so nirgends fahren.“ Marianne lacht dabei. „Es sei denn, sie sind reich.“

„In der Kirche ist noch ein Gottesdienst für die Opfer“, sagt Rolf zu seinen Eltern. Eigentlich sind sie Atheisten. „Den möchte ich gerne miterleben.“

„Dahin gehen wir zusammen.“

„Marianne, unsere Wirtin, hat bei der Rettung ihren Mann verloren. Viele Ortsbewohner haben Schäden erlitten.“

„Wie können wir helfen?“, fragt Andreas.

„Wir müssen erfahren, ob Werner mich und die gesamte Seilschaft mit versichert hat.“

„Fragen wir doch einfach die Eltern.“

„Die Väter sind schon nach Hause. Die Mütter sind noch hier. Sie bleiben.“

Marianne mischt sich ein.

„Wir haben auf den Zimmern schon nach Policen gesucht. Leider haben wir nichts gefunden.“

„Wir haben bei unseren Gastgebern erheblichen Schaden angerichtet“, entschuldigt sich Rolf.

„Aber du wolltest doch gar nicht mitgehen“, entgegnet Sieglinde.

„Ich bin mit gegangen und konnte sie nicht abhalten.“

„Wäre ich in der Nähe gewesen, ich hätte es verhindert“, sagt Andreas. „Wenn die einen Erfolg hatten, wollen sie immer mehr. Immer gefährlicher. Immer gewagter.“

„Ja. Aber Menschen sind so“, stöhnt Sieglinde.

„Nein“, schimpft Andres. „Verrückte sind so! Als Nächstes wäre wohl der Salto Angel fällig gewesen?“

Rolf überlegt.

„Von dem haben sie tatsächlich auch mal gesprochen.“

Andreas schüttel den Kopf.

„Fehlt nur noch der Niagara.“

Rolf spürt, er ist mit Gestörten unterwegs gewesen. Und die Eltern haben das großzügig bezahlt. Jetzt beklagen sie sich und schieben ihm die Schuld zu.

„Ich glaube, du kannst dort nicht mehr arbeiten. Wir suchen uns zu Hause etwas Neues.“

„Die gleichen Typen sind auch bei uns die Arbeitgeber“, entgegnet Rolf. „Wir müssten komplett das Land verlassen.“

„Bleibt doch bei uns“, bietet Marianne an.

Keiner hat mit so einer großzügigen Geste gerechnet. Andreas kennt sie Geste eher von Russen und seinen ehemaligen Genossen. Hier hätte er sie nie vermutet.

„Vorerst sind wir da“, antwortet er.

Marianne freut sich ohne ein Lächeln. Sie versteht die Skepsis teilweise.

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