Der Wasserfall von Partschins

Ich war heute mal Oben und habe uns ein Foto mitgebracht.

„Rechts neben dem Wasserfall ist der beste Weg“, sagt Beate.

„Wir müssen aber mindestens einmal queren“, antwortet Werner.

Er zeigt auf die Stelle. Rechts sind sie durch Überhänge relativ gut vor Steinschlägen geschützt. Etwas höher, gibt es dort keine schützenden Überhänge mehr. Deswegen schlägt Werner die Querung vor. Die Querung selbst, ist aber auch Steinschlägen ausgesetzt. Da liegt auch die Gefahr. Günter macht darauf aufmerksam. Er sieht rechts weniger Gefahren, wenn sie dort bleiben. Günter gewinnt. Seine Argumente scheinen überzeugender. Die Gruppe möchte also rechts neben dem Wasserfall aufsteigen. Sie kalkulieren mit einem Tag für den Aufstieg. Es soll ziemlich früh losgehen. Ihre Gastgeberfamilie ahnt das Vorhaben. Die Gruppe hat das Frühstück abbestellt. Dafür haben sie aber abends reichlich eingepackt. Marianne, die Gastgeberin, hat ihren Mann – Gustl informiert. Gustl steht in der Küche und packt das Bestellte.

„Wollen Sie morgen wandern?“, fragt Marianne die Gruppe.

„Ja“, antwortet Karin ziemlich sparsam.

„Wo soll es denn hingehen. Kann ich helfen?“

„Wir wollen den Wandersteig entlang gehen.“

„Sie können auch mit der Seilbahn den Höhenweg erreichen.“

„Kommen wir da auch ohne Seilbahn ran?“

„Ja. Über den Steig Sieben und Sieben A.“

Gustl drückt ihnen die Wanderkarte in die Hand.

„Die leihe ich ihnen.“

Die Fünf bedanken sich und ziehen ab. Gustl und auch Marianne schauen ihnen hinterher.

„Ich bin mir nicht sicher, ob die wirklich den Steig Sieben nehmen“, sagt Gustl. „Die haben Schellen, Seile und Heringe mit. Und nicht nur das.“

„Soll ich mal die Gemeinde anrufen?“

„Ich rufe Friedl an. Der mobilisiert seine Männer.“

„Wir sollten aber vorerst nur ein oder zwei Beobachter schicken.“

„Wir setzen uns auf die Terrasse vorm Gasthaus.“

„Trink nix. Wenn du noch in den Berg musst.“

„Versprochen.“

Schon am kommenden Morgen setzt sich Friedl auf die Terrasse von Gasthaus Wasserfall. Er hört Stimmen. Rufe. Auch metallische Klänge von Hämmern. Die kommen ihm bekannt vor. Neben ihm nimmt Toni Platz. Zusammen mit Monika. Die Zwei haben vom Aschbach aus das Tun der Fünf beobachtet. Der Volksmund hat sie neugierig gemacht. Die Zwei arbeiten jetzt als Lokalreporter. Auch als Versicherungsvertreter. Und immer noch als freie Detektive für Versicherungen. Selbstständig. Monika geht natürlich noch ihrer Tätigkeit als Hüttenwirt nach. Zum Glück gehört die Hütte ihrer Familie. Die Pacht könnte sie unmöglich aufbringen. Die Gästezahlen lassen nach. Man redet von Pandemie und Schließungen. Auch von Impfpflicht und unmöglichen Drohungen.

In der Hütte ist das kaum zu spüren. Die werden selten kontrolliert. Die Einheimischen wissen das. Es gibt reichlich Möglichkeiten, sich rechtzeitig zu verdrücken. Eine Art – Frühwarnsystem.

Die Zwei sind mit dem Motorrad zum Gasthaus gefahren.

„Eine recht anspruchsvolle Tour“, sagt Toni zu Friedl. Friedl nickt stumm. Die Auffahrt ist schon recht steil. Fünfundzwanzig Prozent. Die Einheimischen benutzen lieber das Auto für ihre Wege. Mit dem Zweirad ist das sehr gefährlich. Vor allem bei Niederschlägen. In den Rinnsalen sammelt sich reichlich Kies neben Pflanzenresten. Die Mischung lädt gern junge Leute aus dem Ort zum motorisierten Geländesport ein. Toni ist zwar nicht mehr der Jüngste, fährt aber gern diese Wege. Monika auch. Als Sozius bei Toni.

Friedl ist gespannt, was da passiert.

„Die wollen doch nicht etwa den Wasserfall hoch klettern.“

„Das ist der ganz neue Reiz“, antwortet Toni.

„Ein Regenwetter und die werden weggespült wie Laub.“

„Ich weiß nicht, was in den Leuten vor geht. Aber Regen soll heute Nachmittag kommen.“

„Deswegen sitze ich hier. Wahrscheinlich ahnen die nicht im Geringsten, was dort auf sie zukommt.“

„Zumal es auch nicht unbedingt hier regnen muss. Weiter oben, in den Bergen, fällt das Keinem auf. Dort regnet es oft.“

„Wir haben vom Aschbach aus, schon Wolken gesehen. Regenwolken.“

„Soll ich sie warnen?“

Der Unfall am Wasserfall von Partschins – Leseprobe

Die Urlaubsvorbereitung

Rolf ist der Sohn von Andreas. Andreas hat in den frühen neunziger Jahren die DDR verlassen. Wegen der Arbeit. Andreas fand in Bayreuth eine Arbeit. Er wählte die Stelle wegen den Bergen. Die Fränkischen Berge ähneln sehr den Bergen seiner Heimat, Pirna. An diesen Bergen klettert er zu gern. Zusammen mit Rolf. Dem hat er das Bergsteigen früh beigebracht. Bergsteigen ist das Fitnessprogramm für Andreas. Rolf sieht das auch so. Beim Bergsteigen trainieren die Zwei den ganzen Körper. Auch den Kopf. Immerhin kann ein Fehler, die Gesundheit oder das Leben kosten.

Für Rolf brachte der Weggang nach Franken wenig Erfolg. Er ist arbeitslos. Seine Firma, in der er arbeitete, ging pleite. Eigentlich nicht. Die Firma wurde verkauft. Rolf gehörte nicht zum Inventar. Das zermürbte ihn sehr. Die Suche nach einer neuen Stelle, brachte keinen Erfolg. Er war zu jung. Zu unerfahren. Er wurde als vorlaut eingestuft. Auch als zu ehrlich. Das Alles stand in seinen Unterlagen vom Amt. Nicht in seinen Bewerbungsunterlagen. Die Entschlüsselung der vielen Absagen, hätten ein Studium erfordert. Das wollte Rolf vermeiden. Er sieht sich als Handwerker. Nicht als Sesselfurzer. Er hätte nie mehr in seine Stammkneipe zum Billard gehen können als Sesselfurzer. Die Kollegen hätten ihn pausenlos ausgelacht. Gehänselt sogar. Ein neuer Freundeskreis unter Bürokraten, ist Rolf ein Graus. Was soll er mit Denen reden? Unsinn, wie die? Oder praktische Dinge.

„Ich werde Profibergsteiger“, eröffnet er Andreas sein Anliegen.

„Naja. Ausbildung hast du genug.“

„Dir gefällt mein Berufswunsch?“

„Das wird wohl eher ein Muss als ein Wunsch sein.“

„Das ist eine Möglichkeit. Sonst muss ich wieder weg gehen hier.“

„Wie willst du damit Geld verdienen?“

„Ich denke, über Videoplattformen und mit Büchern.“

„Das klingt interessant. Ich sehe in den Videos aber immer recht riskante Manöver.“

„Das scheint dazu zu gehören.“

„Das musst du sehr gut trainieren.“

„Versprochen. Machst du mit beim Training?“

„Soweit ich kann, schon. Aber du trainierst ja neuerdings Dinge, die mir zu spektakulär sind.“

„Meinst du damit unser Eis- und Wasserbergsteigen?“

„Ja. Das ist auch ziemlich teuer.“

„Der Witz ist, dafür bekomme ich sogar viele Sponsoren.“

„Merke dir bitte Eins, mein Sohn: Je mehr Sponsoren, desto gefährlicher dein Anliegen.“

„Das scheint irgendwie dazu zu gehören.“

„Es steckt auch etwas Euphorie drin. Zu viel, denke ich.“

„Warum zu viel?“

„Das macht etwas unvorsichtig und fördert die Risikobereitschaft.“

„Du meinst, ich renne dem falschen Ruhm hinterher?“

„Ja, sicher. Mit wem willst du das denn machen?“

„Ich kenne da zwei Paare. Die klettern gemeinsam recht anspruchsvoll. Du müsstest sie auch kennen.“

„Du meinst doch nicht etwa Günter und Karin?“

„Ja schon. Auch Werner und Beate.“

„Ja gut. Aber die sind doch nicht deine Liga.“

„Wie meinst du das?“

„Die klettern aus langer Weile. Sie leben von dem Geld ihrer Eltern.“

„Was stört dich dabei? Du bist doch nicht etwa neidisch?“

„Wenn ihr irgendwelchen Ruhm dabei erntet, ziehen die den an sich. Du gehst da leer aus. Die haben die Beziehungen, die du niemals haben wirst.“

„Von der Seite habe ich das noch nie betrachtet. Du könntest Recht haben. Ich frage sie.“

„Macht einen Vertrag und vereinbart die gerechte Teilung der Einnahmen und Ausgaben.“

„Du meinst, Alles durch Fünf?“

„Genau. Lass mich jetzt bitte etwas ruhen.“

Rolf geht in die Küche. Mama Sigi ist nicht hier. Sieglinde arbeitet im zweiten Kinderzimmer. In einem Zweitberuf. Posamentensticker in Heimarbeit. Im ersten Beruf arbeitet sie in der Brauerei im Büro. Bei der ist Andreas, Fahrer. Mit der Posamentenstickerei verdient sie das Wirtschaftsgeld der Familie. Und das wird zunehmend mehr. Wegen der angeblich steigenden Kosten. Sie hat Rolf nie Vorwürfe gemacht wegen seiner Arbeitslosigkeit. Sie kennt das zur Genüge. Auch von Andreas. Sie findet nur Eins seltsam. Ihre zwei Männer sind öfter von Arbeitslosigkeit betroffen als sie. Die Stelle als Fahrer bei der Brauerei hat sie Andreas verschafft. Mit reichlich körperlichem Einsatz in der Chefetage. Zusammen mit ihren zwei Kolleginnen. Die haben ihr gelernt, wie das funktioniert. Ihre Ehemänner dürfen davon nichts wissen. Gott bewahre. Das wäre eine Sünde und würde sich blitzschnell im Ort herum sprechen.

Werner ist der Sohn des Arbeitgebers seiner Eltern. Gelegentlich verschafft Werner – Rolf eine Schwarzarbeit bei seinem Vater. Mit den Erlösen kann sich Rolf die Gegenstände kaufen, die er zum Klettern benötigt. Mehr nicht. Den Rest bekommt Rolf von seinen Eltern. Er ist Kostgänger. Dafür ist er die Hausfrau im Haushalt. Die Erlöse seiner Arbeit, sind damit schon mal komplett aufgebraucht. Zusätzliche Einnahmen gewinnt Rolf in der Waschanlage einer Tankstelle des Ortes. Auf Trinkgeldbasis. Steuerfrei. Die Einnahmen gestalten sich bisweilen recht üppig. Rolf bietet spezielle Reinigungen an. Sein Chef dort, mischt sich nicht ein in das Geschäft. Er sieht das als Kundenservice. Er betreibt eine gut gehende Bar in seiner Tankstelle. Besser gesagt, Sofia, seine polnische Frau. Von der lebt die Familie. Auch von dem gut besuchten Werkstattservice. Bernhard montiert Reifen für den halben Preis, den sonst Vertragswerkstätten verlangen.

Gelegentlich muss Rolf helfen. Vor allem, beim Wechsel der Reifen für die Jahreszeiten. Das Lager der Kundenreifen hat ein beachtliches Ausmaß. Rolf hat dort den Durchblick. Scheinbar, als Einziger. Nur scheinbar. Sofia listet die Reifen. Und Rolf. Bernhards Potenz ist ziemlich geschwächt. Vom regelmäßigen Alkoholgenuss. Bernhard spielt oft Karten mit seinen Freunden. Auch Billard und Dart. Er liebäugelt mit einer Kegelbahn. Das hat er Rolf erzählt. Er hat ihm dort auch Arbeit versprochen. In Festanstellung als Bierzapfer.

Bis dahin vertreibt sich Rolf die Freizeit am Berg. Beim Klettern mit seinen Freunden.

Der Wasserfall von Partschins

Das hat scheinbar geholfen. Marianne hat die Frage nach dem Essen nicht beantwortet. Statt dessen, wirft sie den Vertretern vor, sie würden sich nicht um den Klärung bemühen.

„Ich kann ihnen erst Essen servieren, wenn ich weiß, wie es weiter geht. Ich muss ja die Rohstoffe auch einkaufen.“

Toni applaudiert. Praktisch hat Marianne die Vertreter raus geschmissen. Nicht besonders hart, aber scheinbar wirkungsvoll. Sie stehen auf und gehen.

Sieglinde hat inzwischen das Essen fertig. Friedl hat es schon probiert beim Kochen. Er hat geholfen, so gut er konnte. Viele Möglichkeiten hat er nicht in seinem Zustand.

Rolf serviert. Nicht allein. Pawel und Anuschka helfen. Beim Essen legen sich die Partschinser einen Schlachtplan zurecht. Andreas organisiert das. Alle schreiben eine Zeugenaussage. Die Vordrucke hat Hartmut bereits Andreas mitgegeben. In drei Stunden haben alle Geschädigten ihre Zeugenaussagen fertig. Daraus ergibt sich sogar die Schuld der jungen Bergsteiger. Am wichtigsten scheint die Aussage von Rudi aus Naturns zu sein. Er bezeugt den heimlichen Einkauf der Kletterutensilien. Und dazu, den Rettungsversuch von Friedl und Gustl.

„Wenn die halbwegs Bescheid wissen, lassen die es nicht auf ein Verfahren ankommen.“

Toni kann jetzt mit den Aussagen, groben Vorsatz nachweisen. In seinem Protokoll steht auch, er hat die Jugendlichen aufgefordert, von ihrem Vorhaben abzusehen. Er hat das außerdem mit dem Handy aufgenommen. Ohne, dass er es wusste. Monika hatte das Handy für die Filmaufnahme aktiviert und versäumt, es abzustellen. Sie geben die Kopien und Protokolle zu Luis weiter. Luis kopiert das und schickt es an die Carabinieri. Die geben es den Vertretern. Toni ist sich sicher, mit der Zeugenkette, können sich die Vertreter nicht mehr verdrücken.

Die Vertreter fordern jetzt Gutachter. Die kommen bereits am folgenden Tag. Ursprünglich wollten die auch bei Marianne übernachten. Marianne hat in ihrem Zorn deren Ansinnen abgelehnt. Friedl konnte sie überzeugen, die Gutachter zu beherbergen. Nebenbei erfuhr er, so unabhängig wie versprochen, sind die nicht. Friedl hat gleich seine Kollegen vom Alpenverein angesprochen. Die sollen mit Rat und Tat helfen. Mit Helfen, ist eher eine Überwachung gemeint.

Eigentlich sollen die Gutachter mit etwas Glück die Steine finden von denen die Opfer getroffen wurden.

„Die Steine haben unsere Carabinieri und Feuerwehrleute schon gesucht. Die sind nicht mehr auffindbar“, sagt Toni. „Die sind sicher auch zu ausgewaschen für Spuren.“

Die Gutachter haben ein Einsehen. Das protokollieren sie. Trotzdem beginnt die Fragerunde von Neuem. Alle Gäste Mariannes werden befragt. Das Wichtigste ist, die Familien der Jugendlichen wussten selbst nicht, was die Seilschaft konkret vor hatte. Die Gutachter bescheinigen jetzt die Absicht. Der Weg zum Schadenersatz scheint frei zu sein.

Am gleichen Abend treffe sich Alle, auch die Vertreter und Gutachter bei Marianne. Sie haben sich fein gekleidet. Ein Gutachter, der kleinste der Gruppe, hat einen Kranz und Blumen in der Hand.

„Wir möchte uns für unser Vorgehen entschuldigen. Die Ermittlungen sind leider kein freundlicher Bestandteil der Schadensaufnahme.“

Marianne weint. Ihr ging das Alles ziemlich nahe. Friedl kann sich kaum verständlich ausdrücken. Monika übernimmt mit Andreas die Antwort.

„Wir erwarten eine zügige Klärung. Bei uns ist Saison. Wir möchten Ausfälle vermeiden. Wir haben hier nur eine ziemlich kurze Sommersaison.“

„Wir werden ihnen den Schadenersatz in drei Raten überweisen.“

Von der Höhe hat noch Keiner gesprochen. Andreas kennt sich etwas aus. Er erwartet etwa achtzig Prozent der gemeldeten Schadensumme.

Die Versicherung hat gefordert, gefährliche Stellen wirkungsvoll abzusperren. Sie können sonst keine Haftung übernehmen.

Offensichtlich hat das die Versicherung gleich für andere, in Frage kommende Versicherungen, empfohlen. Herr Garnich hat das auszugsweise so angedeutet.

Der Wasserfall von Partschins

Das Telefon von Andreas klingelt. Ulrike ist dran.

„Der Abteilungschef der Versicherung ist angekommen.“

„Wir gehen gemeinsam zu Marianne. Wir treffen uns Alle dort zu einer Besprechung.“

Andreas nimmt Garnich, den Vertreter, mit zu Marianne. Nach der Begrüßung verspricht Garnich, Alles bezahlen zu wollen.

Gegenüber Andreas gibt er sich genau anders herum.

„Normal bezahlt hier in Südtirol das Land solche Unglücke.“

„Das schon‘, sagt Andreas. „Wir zahlen aber nicht bei grobem Leichtsinn oder Vorsatz.“

„Unsere Versicherung ist aber der Meinung, die Jugendlichen sind verunglückt.“

In dem Fall, müsste Südtirol das zahlen und seiner Versicherung übergeben. Das würde automatisch eine Erhöhung der monatlichen Beiträge bedeuten. Andreas sieht das nicht ein.

„In unseren Protokollen der Carabinieri, ist von grobem Vorsatz die Rede. Das ist unsere Maßgabe bei der Bewertung des Unglückes.“

„Das Protokoll reicht uns so nicht. Ich habe das gelesen.“

Andreas ruft Toni an.

„Ich brauche euch Zwei. Die Versicherung will nicht zahlen. Das Land und die Gemeinde sollen die Kosten der Rettung tragen.“

„Wir kommen. Ich habe das ja persönlich mit erlebt und auch davor gewarnt.“

Andreas bittet den Vertreter, bei Marianne zu bleiben. Zwecks Klärung des Sachverhaltes.

Marianne macht denen die Zimmer frei.

Bei Marianne sitzen immer noch die Familienangehörigen und die Versicherungsvertreter. Sie diskutieren rege. Es geht um Abfindungen und Wiedergutmachung. Das ist nur teilweise von den Policen gedeckt. Alle sind nicht mehr im Ort. Nur die engsten Angehörigen. Sie übernachten teilweise bei Maria in ihrem Haus.

Toni verspricht ihnen, sich um die Schuldfrage zu kümmern. Er möchte heraus finden, ob Leichtsinn, grober Leichtsinn oder Vorsatz zu dem Unfall führten.

„Hier sind Rettungen doch kostenlos“, wirft Gloria ein. Sie befürchtet schon Schlimmeres.

„Hier geht es auch um den Schaden, der im Ort angerichtet wurde. Die Rettungen samt Infrastruktur, sind im Gegensatz zu Österreich, bei uns kostenlos. Bei einem Unfall.“

Toni erzählt nicht Alles. Er soll groben Vorsatz nachweisen. Und das gelingt ihm sicher mit seinen Kenntnissen. Marianne mischt sich ein.

„Gustl hat die Fünf gewarnt und von dem Bestieg abgeraten. Sogar Rolf hat davon abgeraten. Und der ist Mitglied der Seilschaft.“

Friedl mischt sich ein.

„Ich habe den Fünf auch davon abgeraten. Wir sind zur Rettung aufgebrochen, weil sich die Fünf nicht abbringen ließen.“

Herr Garnich hört das gar nicht gern.

„Sie reden hier von grobem Vorsatz. In dem Fall, würden wir ja auch nicht zahlen.“

„Halt, Halt“, ruft Gloria. „Wir reden von der Haftpflicht.“

Garnich kommt scheinbar nicht weg von seinen Verpflichtungen.

„Ich muss mit meiner Direktion reden. Das wird mir zu speziell.“

Andreas und Hartmut haben schon mit dem Land verhandelt. Die lehnen die Kostenübernahme ab. Die haben die Rechnungen gesehen.

„In der angespannten Situation nach der Pandemie, können wir das nicht übernehmen. Partschins hat schon eine schwere Katastrophe erlebt. Und die ist noch nicht komplett geregelt. Wenn das die Bevölkerung erfährt, bekommen wir reichlich Ärger.“

Toni denkt sich, ‚angesichts der Ausgaben für Landtagsabgeordnete, würde das nicht groß auffallen.‘ Er lächelt bei dem Gedanken. Marianne bemerkt das.

„Du lächelst?“

„Mir kommt der Streit ziemlich lächerlich vor. Sowohl auf Landes- als auch auf Versicherungsseite. Beim Steuern und Beiträgen kassieren, sind die Herrschaften bedeutend schneller.“

Andreas und Hartmut müssen auch lachen bei der Bemerkung.

Die Angesprochenen werden nicht mal rot. Scheinbar gehen denen, die Schäden und die Schicksale am Arsch vorbei. Keinerlei Emotion ist in deren Gesichtern feststellbar.

„Die kommen hier mit großen Autos, in feinem Zwirn, bei kostenlosem Essen und freier Logis zum Urlaub. Wir reden von meinem Mann, der Existenz meiner Familie samt Angestellten und meinem Betrieb! Was ist ihnen denn ihr Leben undd as ihrer Familien wert?“

Marianne konnte sich das Geschacher nicht mehr anhören.

Der Wasserfall von Partschins

Tatsächlich sieht es so aus, als wöllten die Vertreter den Preis herunter handeln. Und zwar beträchtlich. Das wäre dann zu Lasten Mariannes gegangen. Es gibt keine Einigung. Man einigt sich auf einen Kompromiss. Beim Einreichen der Baurechnungen, wird die Summe beglichen.

Marianne hingegen, besteht auf ihrer Forderung. Zur Not, muss sie die Forderung den Familien zusenden. Sollen die sich mit ihrer Versicherung streiten. Das hat ihr Andreas geraten. Die Unterstützung der Gemeinde ist ihr gewiss. Das Weiße Kreuz, die Carabinieri und die Feuerwehr haben weniger Probleme. Ihre Rechnungen kann die Versicherung nicht ablehnen. Die Versicherung hält sich also gegenüber dem schadlos, der sich schwer wehren kann. Jetzt könnten die Carabinieri und die Feuerwehr bewusst mehr fordern, um Marianne voll zu entschädigen.

Marianne kann nicht so robust auftreten nach dem Verlust ihres geliebten Mannes. Die Gemeinde will ihr einen Anwalt stellen. Der soll ihr das Maximum ziehen. Mit einem Anwalt wird das Verfahren aber unpersönlich und weniger emotional. Der Verlust eines geliebten Menschen, lässt sich aber nur emotional bewerten und nicht bürokratisch. Den Anwalt nimmt Marianne an. Sie gelobt aber, an dem Verfahren teilnehmen zu wollen.

Nach einigen Rücksprachen der Vertreter mit ihrem Auftraggeber, scheint die Versicherung an einer Lösung zu Gunsten Mariannes interessiert zu sein. Andreas und Hartmut haben mit den Medien und touristischen Konsequenzen gedroht.

„Wenn schon, denn schon“, sagt Andreas. „Das Touristische können wir uns zwar nicht leisten; aber der Versuch ist es wert. Dominik hat den Zugang, so und so, schwer verriegelt. Damit ist die Touristenmeute an sich schon bestraft.“ Eigentlich nicht. Sie können den Wasserfall ja aus der Gondel der Seilbahn betrachten. Nur eben nicht kostenlos. So wie Straßen – Geld kosten, kostet auch die Pflege und Erhaltung einer Sehenswürdigkeit – Mühe. Und die Mühe muss bezahlt werden. In Deutschland müssen die Südtiroler auch für Museen mit weltweit geklautem Inhalt – Eintritt zahlen. Dazu kann der Ort mit Eintrittsgeld die Besucherströme lenken. Allein die Reinigung des Umfeldes durch Firmen, würde Millionen pro Jahr verschlingen. So gehen die Bewohner des Ortes geschlossen ans Werk, den Müll ihrer Besucher wegzuräumen. Kostenlos. Subbotnik nannten die das im Osten.

„Das ist kein günstiger Zustand für uns“, sagt Oskar von der Feuerwehr. Wir haben die ja dafür ausgelacht. Bei uns muss das bezahlt werden. Josef, der Stammgast von Marianne sagt, im Osten wurde der Subbotnik auch gut bezahlt. Er hätte das von einem ostdeutschen Koch bei Doris in der Laterne erfahren. Alle Anwesenden nicken. Als hätten sie das selbst gehört.

Der Wasserfall von Partschins

Andreas winkt ab und lacht etwas zu seinen Bürohilfen.

„Zwanzig Tausend! Allerhand.“

„Der Schaden ist beachtlich“, sagt Ulrike, die Büroschreibkraft. „Ich habe das gesehen.“

Hartmut kommt gerade dazu.

„Wenn ich bedenke, was uns fünfzig Meter Straße kosten, ist das schon fast ein Schnäppchen.“

„So sehe ich das auch“, pflichtet Ulrike bei. Die gesamte Weide ist kaputt und dazu ein Teil der Wanderwege und Zäune.“

„Dann ist wohl zwanzig Tausend gar zu wenig?“, fragt Andreas.

„Ich würde das etwas erhöhen“, antwortet Hartmut.

„Das gibt sicher schlechtes Blut im Ort.“

„An der Straße nach Oben, habe ich schon auch reichlich Schäden entdeckt“, fügt Hartmut hinzu. „Das hat bis Jetzt aber Keiner gemeldet. Das kommt sicher noch nach der Zahlung an Dominik.“

„Hartmut. Rechne das mal bitte hoch und schreibe einen Schadenbericht von den Anwohnern. Es wäre wirklich zu schade, wenn unsere Anwohner dadurch einen Schaden ab bekämen“, ordnet Andreas an.

Hartmut ist einverstanden und verspricht, etwas Reserve dazu zu schreiben. Für verspätete Forderungen.

„Ich werde auch gleich die gesamten Straßenränder herunter mit frischem Kies auslegen lassen. Damit bremsen und zerstreuen wir den Wasserfluss. Der letzte, von uns eingebrachte Kies, wurde leider eingefahren.“

„Gut. Mach das bitte.“

Aus der Kalkulation wurden sechzig Tausend. Das erschien Hartmut trotzdem etwas wenig. Er hat den Überblick über diverse Rechnungen.

Wir müssen wahrscheinlich auch etwas mehr aufdrücken, weil die Versicherungen dazu neigen, zu kürzen.“

Der Gemeinderat muss tagen. Natürlich auch auf Rechnung. Sondersitzung. Einige Mitglieder des Rates müssen von Arbeit frei gestellt werden.

„Ein kleines Abenteuer und die wahren Kosten“, stöhnt Hartmut. „Das riecht fast nach Überstunden.“ Andreas muss lachen.

„Die haben dafür so eine Art Pauschale“, sagt Hartmut dazu.

„Wir sind ein kleiner Ort. Pauschalen ziehen bei uns nicht.“, antwortet Andreas.

Das Telefon klingelt. Marianne ist dran.

„Wir treffen uns heute Abend zur Schadensauswertung. Kommt ihr auch? Wir haben neue Köche.“

Das kann Andreas nicht ablehnen. Wohl auch in der Befürchtung, riesige Rechnungen präsentiert zu bekommen. Eigentlich ist es keine Befürchtung für ihn. Er steht voll dahinter. Wegen des Verlustes von Gustl ist hier schon das Maximum angebracht.

Am Abend treffen sich Alle. Die Gemeindeverwaltung ist vollzählig anwesend.

Sie rechnen den Schaden zusammen. Es sind weit über dreißig Protokolle. Die vorherigen Berechnungen werden weit übertroffen. Jetzt stehen gesamt knappe zwölf Millionen an Forderungen an. Mit dem Beschluss, werden die Protokolle den Versicherungen übergeben.

Schon in der kommenden Woche sind die Vertreter der Versicherungen vor Ort. Sie übernachten bei Marianne. Auf Befehl ihrer Gesellschaft. Sie wollten erst im Ort ein Luxushotel buchen.

„Nix Luxus“, schimpft Andreas. „Die sollen bei Marianne übernachten.“

Luis, der Bürgermeister hört den Krach.

„Worum geht es?“

„Die Versicherungsvertreter kommen und wollten im Luxus übernachten.“

„Die sollen bei Luise übernachten und ihr das Beileid der Versicherungen überbringen. Die sollen sich den Schaden genau ansehen, den sie zu begleichen haben. Immerhin muss auch Gustl als Koch und Wirt ersetzt werden.“

Marianne hat das am Telefon mitgehört und freut sich über die Solidarität von Luis.

„Danke“, ruft sie laut.

Die Vertreter kommen zusammen mit Gutachtern. Das Geschacher kann beginnen.

Der Wasserfall von Partschins

So viel er in den Policen sieht, sind schon Schäden bis fünf Millionen versichert. Aber das wird den Aufwand sicher nicht decken. Allein das Weiße Kreuz, die Feuerwehr und die Carabinieri, werden um die drei Millionen fordern. Das Krankenhaus sicher einen ähnlichen Betrag. Jetzt wird es schwierig.

„Ist das die einzige Versicherung?“, fragt Hartmut.

Maria überlegt. Eigentlich sind noch Unfallversicherungen für Jeden da. Die fragt Gloria, ob sie von den Versicherungen weiß. Gloria antwortet Ihr. Sie hat bereits Anschreiben der Versicherungen erhalten. Alle Schadensmeldungen haben das Haus verlassen. Die Lebensversicherungen regeln den Unfall. Für Günter ist eine Rente vorgesehen. Bescheiden. Aber die Rente wird von der Krankenversicherung und von einer Unfallversicherung noch ergänzt. Günter lebt also von drei Versicherungen.

„Mir geht es eher um die Abwicklung der Schäden, die unsere Kinder angerichtet haben.“

Gloria ist sich nicht ganz sicher. Darüber besitzt sie keine Informationen. Trotzdem sich die Versicherungen meldeten. Beide sprechen ab, das zu regeln. Das Geld von Karins Lebens-, Haftpflicht- und Unfallversicherung, möchte Gloria zur Regulierung des Schadens einsetzen.

Werner und Karin sollen von Nikolaus, auf dem Friedhof in Partschins, beigesetzt werden. Nikolaus findet das etwas ungewöhnlich. Das würde auch sehr viel Bürokratie verursachen.

Gloria und Maria scheinen Abstand zu nehmen von ihrem Vorhaben.

„Die gesegnete Erde ist stets die Heimaterde“, sagt er zu Maria und Gloria.

„Sie haben schon Recht. Unsere Großeltern liegen auch nicht in der Heimaterde.“

„Wir haben keinen Krieg“, antwortet Nikolaus.

„Hier nicht“, entgegnet Gloria. „Trotzdem befinden wir uns im Krieg.“

„Das schweift etwas sehr weit vom Thema ab. Die jungen Leute sind hier bei einem unüberlegten, sehr riskanten Abenteuer gestorben. Wie bei einem Auto- oder Motorradunglück.“

„Sie haben Recht. Wir werden unsere Kinder zu Hause begraben. Das haben sie doch verdient.“

„Ich habe fast das Gefühl, sie wollten sich mit der Grabstätte hier, etwas von der örtlichen Kritik zu Hause entfernen.“

„Ehrlich gesagt. Das war mein Anliegen. An ihrem Grab wird sicher über sie schlecht geredet.“

„Das schon. Aber das wird auch eine Warnung an nachfolgende Hitzköpfe.“

„Stimmt. Hoffen wir, die Warnung greift.“

„Das sehe ich etwas skeptisch. Gerade in Hinblick auf unsere Straßen und Berge. Es gibt wahrscheinlich nichts mehr, was unseren jungen Leuten das Kribbeln im Bauch verursacht.“

„Verstehe.“

„Die Jugend braucht konkrete Ziele und Aufgaben“, warnt Pfarrer Nikolaus. „Das ist die Aufgabe der Eltern.“

„Wir sind in dem Zusammenhang ziemlich machtlos.“

„Eben nicht. Sie haben oder hatten mit ihrem Wohlstand reichlich Einfluss. Und den haben sie nicht genutzt. Gerade dieser Wohlstand verleitet die Jugendlichen der entsprechenden Familien zu überheblichen Abenteuern und Sportarten. Die Kinder der ärmeren Familien sterben auf Arbeit oder dem Weg dahin.“

Diese Kritik scheint zu wirken. Gloria und Maria weinen. Nikolaus reicht Taschentücher aus. Offensichtlich hat er in den Taschen seines Talars reichlich Vorrat davon. Seine mahnenden Worte in Form einer sehr deutlichen, klaren und eindringlichen Stimme, zeigen wie scheint – oft Wirkung.

Familie Patroner spricht bei Andreas auf der Gemeinde vor. Papa Dominik hat eine Rechnung in der Hand.

„Ich habe den Schaden an unseren Wegen und der Weide zusammen gestellt.“

Andreas, wie immer, sehr freundlich, nimmt die Post entgegen.

„Ich gebe es Hartmut. Der kümmert sich.“

Dominik verlässt die Gemeindestube rückwärts wie einen Schrein. Mit dankenden Verbeugungen.

Der Wasserfall von Partschins

Gustl war ein Held. Er hat vielen Menschen am Berg geholfen. Oft zusammen mit Rudi aus Naturns. Aber auch mit anderen Freunden des Alpenvereins.

Maria und Edmund möchten gern im Ort bleiben. Sie möchten hier ein Haus kaufen, um Werner und Beate nahe zu sein. Darüber sprechen sie mit Marianne. Marianne soll ihnen helfen, eine Bleibe zu finden.

Friedl hat einen Vorschlag für das Gespräch. Seine Mutter lebt allein im Haus.

„Wir holen Mama zu uns und verkaufen Maria das Haus.“

Marianne ist nicht direkt begeistert von dem Vorschlag; aber er klingt interessant. Edmund gefällt der Vorschlag. Er würde zu gern in der Gemeinde bleiben, um seinen zukünftigen Mitbürgern als auch Gustl zu danken. Nach relativ langen Gesprächen, gibt Marianne ihr Jawort.

Friedl‘s Mama zieht zur Familie. Hier hat sie es bedeutend schöner und etwas bequemer.

„Ich sage dann Helene – Bescheid.“

„Rolf, Pawel und Andreas können beim Umzug helfen.“

Marianne beginnt schon wieder voll mit der Organisation des Betriebes. Die Ablenkung scheint ihr gut zu tun.

Helene kommt bei Marianne an. Sie bekommt einen Empfang der ganzen Mannschaft.

„Ich möchte trotzdem etwas mit Helfen“, sagt sie zu Marianne. „Am liebsten in der Küche.“

Marianne fällt ein Stein vom Herzen. Endlich hat sie eine Oma im Haus, dies ich um den Kräutergarten und die Küche kümmert. Friedl bringt noch etwas Küchentechnik aus dem Haus.

Die Deutschen möchten gern die Möbel mit übernehmen. Friedl und seine Helene sind einverstanden. Unter einer Bedingung. Sie dürfen die Möbel nicht verkaufen. Sie bleiben Eigentum von Friedl. Die Familie verspricht, sorgsam damit umzugehen. Helene ist noch mit echtem Südtiroler Möbel eingerichtet. Sie konnte das über den Krieg retten. Das Möbel hat sie der Gemeinde versprochen. Hartmut hat das bereits eingeplant für ein Gemeindemuseum. Er möchte den Besuchern und Gästen zeigen, wie die Rabländer früher wohnten. Eigentlich war dafür Helenes Haus vorgesehen. Es gibt aber noch andere Häuser, die dafür in Frage kämen. Rabland zählt immerhin zu den Gemeinden, die sehr viel Urtümliches erhalten haben. Und das soll ein besonderer Anziehungspunkt sein.

Andreas und Hartmut haben jetzt die Aufgabe, den Schaden zusammen zu rechnen. Die Forderung soll an die Versicherung der Familien der jungen Leute übergeben werden.

Die Carabinieri haben bereits das Schadenprotokoll bereitet. Die Feuerwehr auch. Der örtliche Bauhof fehlt noch. Das liegt in den Händen Hartmuts und Gottfrieds. Selbst Nikolaus hat eine Rechnung geschrieben. Bei der Entnahme des Zaunfeldes ist etwas Schaden entstanden.

Die Rechnungen gehen zuerst an Maria und Edmund. Mittlerweile weiß Jeder im Ort, die haben das Geld, um den Schaden zu begleichen.

Eigentlich könnten sie das unbürokratisch mit Maria regeln. Sie ist der Anlaufpunkt.

Bei Marianne findet die Versammlung statt.

Zuerst möchte Hartmut heraus bekommen, was denn überhaupt versichert ist. Edmund hat die Policen mit gebracht.

Der Wasserfall von Partschins

Die Kirchenglocken läuten. Alle Gäste von Marianne, die Familienangehörigen und Retter, gehen geschlossen, langsam als Trauermarsch, die Gemeinde herunter. Auch die Väter samt einigen Beschäftigten, die angereist sind. Nachbarn schließen sich an. Sie möchten Gustl und Marianne den Respekt bekunden. Friedl wird von Marianne und Anuschka in die Mitte genommen und teilweise geführt. Wegen der Schwellungen im Gesicht, kann er nur behindert sehen. Er wollte trotzdem gern nach Unten laufen. Das ist er seinem Freund und Kameraden schuldig. Denkt er. Vor der Kirche sammelt sich inzwischen eine recht große Menschenmenge. Die Parkplätze und Straßen füllen sich mit Autos aus den Nachbargemeinden. Gustl und Marianne haben einen sehr guten Ruf. Toni kommt in Begleitung Monikas und den Freunden der Fraktion Aschbach. Vor der Kirche wird schon Trauermusik gespielt. Gabriel betätigt die Feuerwehrsirene, fast rhythmisch. Wie bei einem Fliegeralarm. Janik und Oskar kommen zum Friedhof mit Krücken gehumpelt. Janik hat einen Gipsarm.

In seiner Trauerrede bedauert Nikolaus die Opfer der Gemeinde zuerst. Ganz bewusst. Er kritisiert sehr schwer die jungen Leute der Seilschaft. Wegen ihnen hat die Gemeinde wertvolle Mitglieder verloren. Danach segnet er die Verunglückten jungen Leute mit dem Hinweis, sie hätten eher vorher seinen Segen abholen sollen. Er hätte ihnen das Vorhaben ausgeredet. Sagt er. Maria weint wie der örtliche Wasserfall. Nikolaus redet von Erziehung. Von geistiger Verarmung. Von Langeweile. Von Abenteuerlust. Alles verpackt in teilweise vorwurfsvolle Verse. Alle verstehen ihn. Das wirkt auch. Zu spät. Friedl würde ihm für die Verse – Applaus geben. Er nickt fortwährend. Friedl kann kaum reden. Niemand würde ihn verstehen. Toni springt für ihn ein.

„Die wahre Trauer kommt noch“, sagt er der Trauergemeinde. „Firmen und Existenzen sind kaputt. Die Nachfolger sind vor ihren Eltern gestorben. Der Schaden in der Gemeinde ist mehr als nur beträchtlich. Ich bitte unsere Gemeinde, den Zugang zum Wasserfall zu sperren.“

„Wir werden die Zugänge noch intensiver sperren“, verspricht Dominik Patroner.

„Das muss aber Jemand bezahlen“, ergänzt Mama – Crista.

Siglinde vom Wasserfallblick verspricht, sich zu melden, wenn sie ähnliche Vorhaben bemerkt. Sie gesteht wie Marianne, das nicht verhindert zu haben. Obwohl sie schon bemerkten, was die jungen Leute vorhaben.

Nach der Trauerkundgebung auf dem Friedhof, begibt sich die Trauergemeinde fast geschlossen hinauf zu Marianne.

Nach zwölf Wochen kann Günter mit einem künstlichen Becken samt Gelenk und einem Gehstock wieder laufen. Er schiebt seine Beate im Rollstuhl. Beate ist einseitig gelähmt. Sie kommen Marianne besuchen. Friedl empfängt sie. Er sieht gut aus. Seine Narben im Gesicht hat er mit einem Bart verdeckt.

„Rasieren funktioniert nicht mehr“, sagt er zur Begrüßung.

Maria hat ihre Anteile an den fünf Autohäusern verkauft. An ihre Familie. Sie bekommt jetzt von der Familie die Rente. Alle Schulden sind bezahlt. Maria kommt mit einem polnischen Pfleger. Sie ist wegen dem Schock jetzt sehr behindert.

Vor dem Haus steht eine geschnitzte Figur. Gustl. Eine angebrachte Kupfertafel gibt den Kurzlebenslauf bekannt.

Unfall im Wasserfall von Partschins

Die Einarbeitung der neuen Kräfte dauerte etwa eine Woche. Mittlerweile kennt sie Andreas von der Gemeinde persönlich. Hartmut war schon mehrmals bei Marianne. Auch Silvio, der Carabiniero.

„Das Zimmer ist zu klein für alle Bewohner“, stellte er fest. Marianne hat sofort reagiert. Andreas hat zusammen mit Pawel und Rolf den Schober ausgebaut. Die Familie hat jetzt eine eigene Wohnung. Hartmut konnte das Staunen kaum verbergen. Wegen der Schnelligkeit beim Ausbau. Offensichtlich hatte das Marianne schon geplant. Oder sogar Gustl. Gustl hatte schon lange vor, das Anwesen etwas zu vergrößern. Er wollte Obst anbauen. Keine Äpfel. Kirschen, Zwetschgen und diverse andere Obstsorten. Auch Gemüse als Zwischenkultur. In Bioqualität. Er hatte vor, die Ernte in seinem Gasthof zu vermarkten. Damit versprach er sich höhere Einnahmen als auf Märkten. Genau für diesen Traum, werden die neuen Kollegen benötigt. Wenn Gustl das im Himmel hören würde. Ausgerechnet nach seinem Tod, wird sein Traum wahr.

Hartmut von der Gemeinde soll prüfen, ob Marianne ein Brennrecht bekommt. Sie plant, das eigene Obst und die Beeren in Weine und Brände zu verarbeiten. Die meisten Beeren lieben es halbschattig. Ihre Lage würde das ermöglichen. Die steile Lage. Das Wasser in der Nähe. Die zahlreichen Mitarbeiter.

Gloria und Maria kommen aus dem Krankenhaus – Meran wieder. Beate wurde jetzt nach Innsbruck gebracht. Die Spezialisten dort versuchen, ihr doch noch zu helfen. Beate ist transportfähig. Die Meraner konnten sie stabilisieren.

Zwei Drittel der italienischen Gäste sind abgereist. Es wird Platz für die Familienangehörigen der Opfer. Selbst Bernhard und seine Frau Sofia erscheinen. Bernhard hat sein Auto voller Kränze seiner Geschäftsfreunde mit. Bei ihnen Allen hat Rolf gearbeitet. Reichlich Spenden stecken in den Umschlägen der Trauerbriefe. Hauptsächlich für Gustl. Sie Alle kannten Gustl.

Für diese Woche ist die Trauerfeier angesagt. Andreas von der Gemeinde und Nikolaus der Pfarrer, haben die Trauerfeier organisiert. Der ganze Ort wird daran teilnehmen. Auch die Familien der Opfer. Marianne und ihre Helfer bereiten Alles vor. Die Frauen von Partschins möchten gern helfen. Die Feuerwehr übt bereits die Musik. Zumal sie selbst auch Verletzte zu beklagen hat.

Pfarrer Nikolaus hat eine Trauerrede vorbereitet. In dieser Rede übt er auch schwere Kritik an dem Vorhaben. Er beruft sich auf Günter. Der bereut bereits sehr schwer diese Seilschaft.

„Der Blödsinn hat mich zum Krüppel gemacht und mir meine Geliebte genommen.“

Fast täglich weint er um Karin und seine Beate. Er wirkt betroffener als ihre Eltern; scheint es.

Eine neue tragische Nachricht erreicht die Gruppe.

Julius, der Vater Günter und Karins, ist mit dem Auto tödlich verunglückt. Gloria verfällt in eine Starre, die dem Krankenhauspersonal in Meran schwere Sorgen bereitet. Maria versucht, sich um sie zu kümmern. Gloria wirkt wie abwesend. Fast, wie nach einem Herzschlag. Starr. Unbeweglich. Die Meraner Neurologen sind sehr besorgt.

Maria scheint den Verlust besser wegzustecken. Sie wirkt kräftig und kampfbereit. Sie sucht auch die Nähe von Marianne.

„Wir müssen unsere Verluste zusammen überwinden“, bietet sie Marianne an.

Marianne reagiert kaum darauf. Sie ist momentan zu sehr abgelenkt.

„Friedl und meine Kollegen kümmern sich um mich. Ich fühle mich dort gut aufgehoben. Wir haben viel Arbeit. Die hilft mir, Alles zu vergessen und in die Zukunft zu schauen.“

„Kann ich helfen?“

„Danke. Können wir ihnen helfen?“

„Ich bin Maria.“

Maria bietet das Du an.

„Marianne“, antwortet leicht abgelenkt – fast trocken. „Wie geht es mit ihrer Brauerei weiter?“

Maria wirkt dankbar für die Ablenkung. Sie wirkt aufgeregt. Fast schon überaktiv. Sie zupft am Tischtuch, an ihren Sachen und schaut oft in den Spiegel.

„Mit der Brauerei habe ich sicher keine Sorgen. Ich muss nur die Unfallursache Beates und Werners genau erfahren. Ich brauche die Protokolle aus dem Krankenhaus.“

„Die kann ich dir schicken. Andreas von der Gemeinde tut das auch. Die haben doch deine Adresse.“

„Ja. Aber ich muss trotzdem fahren.“

„Pawel hilft dir beim Packen. Oder soll er dich nach Hause fahren?“

„Das wäre mir lieber. Es kann auch ein Taxi sein. Zur Zeit bin ich ziemlich zerstreut. Fahren könnte ich jetzt nicht.“

Friedl kommt zu dem Gespräch dazu. Er sieht immer noch recht ramponiert aus.

„Friedl, ich danke ihnen für die Hilfe und ihren Einsatz. Schreiben sie mir bitte ihre Kontonummer auf. Ich überweise ihnen einhundert Tausend.“

„Ich bedanke mich herzlich. Sie können das auch an Marianne überweisen. Sie gibt es mir dann.“

„Sie werden das sicher noch brauchen. Die Versicherungen decken nicht Alles, glaube ich. Ich möchte auf diese Art den Schaden wieder gut machen.“

Maria wirkt fast berechnend bei der Äußerung.

„Wer wird denn nun die Brauerei weiter führen?“

„Außer Beate und Werner gibt es schon auch noch Familienmitglieder. Der Notar ist mein nächster Weg.“

„Was ist mit Gloria. Wer führt das Autohaus weiter?“

„Günter kann das sicher noch. Karin nicht mehr.“ Maria bekommt feuchte Augen bei der Antwort. Julius ist einer unserer besten Freunde. Er ist ein Schulkamerad von Edmund. Sie haben auch zusammen studiert.